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Mit Internet und Köpfchen an die Familienforschung (Ilse Zelle)

 

Genealogieprojekt an der kooperativen Gesamtschule Stuhr-Brinkum

Zum dritten Mal fand an der Oberstufe der Kooperativen Gesamtschule Stuhr-Brinkum bei Bremen unter Leitung der Lehrerin Ilse Zelle das Seminarfach „Familienforschung“ statt. Wie zuvor besuchte Helga Scabell, ehrenamtliche Schatzmeisterin des Vereins für Computergenealogie, im Rahmen dieses Projektes die Schule und referierte vor 22 Schülerinnen und Schülern über genealogische Datenbanken im Internet sowie kostenlose Softwareprogramme zur Verwaltung von Familiendaten. Sie brachte den den Schülerinnen und Schülern großes Interesse an ihren Forschungen entgegen, war offen für jede Frage, die sie sachlich, aber auch humorvoll beantwortete und so den Jugendlichen bei ihren Recherchen weiterhalf.

Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler beschäftigte sich mit dem Leben der Großeltern während des Zweiten Weltkrieges. Schwerpunkte waren Flucht und Vertreibung aus den ehemals deutschen Ostgebieten, das Schicksal der Soldaten bei Wehrmacht und Marine sowie das Leben nach dem Krieg. Die Gespräche mit den Großeltern waren gerade zu Beginn ihrer Arbeit nicht immer einfach. Einige der alten Menschen hatten Schreckliches erlebt, über das sie nicht sprechen konnten. Als jedoch das ernsthafte Interesse der Jugendlichen an ihrem Schicksal deutlich wurde, waren die Zeitzeugen eher bereit, Details ihres Lebens preiszugeben. Mit großer Motivation arbeiteten nun auch die Großeltern und andere Angehörige an dem Projekt, trugen Dokumente zusammen und beantworte ten geduldig die Fragen.

Die Hartnäckigkeit der jungen Forscher wurde am Ende mit haarsträubenden, gefühlvollen, aber auch wunderbaren Geschichten belohnt. Die Gespräche mit den Großeltern und anderen Zeitzeugen waren nicht die einzige Sorge, die die Schüler bedrückte. Sie hatten zwar viele Informationen erhalten, doch wer beantwortete ihre offengebliebenen Fragen gewissenhaft? Auch hier konnte Helga Scabell geeignete Ansprechpartner nennen. Weitere Hilfe erhielten die Schüler bei ihren Besuchen in Archiven und Bibliotheken. Eine 17-jährige Schülerin meint: „Familienforschung ist ein interessantes, aber auch komplexes und langwieriges Thema, mit dem ich mich selbst nie in meiner Freizeit beschäftigt hätte. Aber wenn man einmal damit angefangen hat, ist es spannend und man forscht weiter.“ Die Kursteilnehmerinnen zogen folgendes Fazit: „Wir haben ein besseres Verständnis für das Leben unserer Großeltern durch diese Arbeit bekommen.

Im Geschichtsunterricht geht es um Daten und Fakten, auch damit haben wir uns bei dieser Arbeit auseinandergesetzt und wissenschaftliche Arbeitsweisen gelernt, aber entscheidend waren die anschaulichen, emotionalen Berichte, die Betroffenheit weckten, sodass wir uns stärker mit diesen Schicksalen identifizieren konnten.“ Diese Erfahrung hatten auch schon die Teilnehmer der vorherigen Kurse gemacht. Eine besondere Überraschung erlebte eine Schülerin, die die Spuren ihrer Urgroßmutter in Polen verfolgt hatte und ihre jüdischen Wurzeln entdeckte: „Meine Urgroßmutter hatte ihre Geburtsurkunde gefälscht, um nicht als Jüdin verfolgt zu werden. So entging sie zum Glück der Vernichtung, nicht jedoch der Zwangsarbeit in einer Konservenfabrik in Hamburg. Meine Oma, die noch in Polen lebt, hat mir die Geburtsurkunde geschickt. Das war vor den Recherchen in meiner Familie nicht bekannt.“ Ein anderer Schüler nutze die Gelegenheit sich mit dem Yezidentum auseinanderzusetzen, einer fast vergessenen Religion, die u. a. in der Türkei vorkommt. Viele Yeziden wurden zwangsislamisiert. Diesem Schicksal wollte seine Familie entgehen. Zudem war sein Vater Vorsteher in einem Dorf und wurde von der türkischen Regierung angewiesen, Männer zu benennen, die gegen die Kurdenpartei PKK kämpfen sollten. Hätte er dies getan, wäre er als Verräter angesehen worden. Deshalb flüchtete die Familie 1988 nach Deutschland und stellte einen Asylantrag, dem Jahre später auch entsprochen wurde. Ein anderer Schüler war als Kleinkind nach der Trennung seiner Eltern mit dem Vater aus Togo nach Deutschland gekommen. Zwar hat er hier eine deutsche Stiefmutter, jedoch konnte er sich nicht an seine leibliche Mutter erinnern. Er beschäftigte sich mit afrikanischen Familienstrukturen und erhielt von der niedersächsischen START-Stiftung die Möglichkeit, nach Togo zu fliegen, um dort seine Mutter und seine Familie kennenzulernen. Ein Wiedersehen, das der damals 18-jährige Schüler nüchtern und doch berührend beschreibt. Den Kontakt zu seiner Familie in Togo führt er jetzt intensiv fort.

Die Jugendlichen hatten die Chance, die Wurzeln der eigenen Familie neu zu entdecken und die eigene Identität weiter auszubilden. Ihre neu erworbenen Kenntnisse können sie nun innerhalb der Familie weitergeben und die mindestens 15 Seiten umfassenden Seminararbeiten an ihre späteren Kinder und Enkel „vererben“.

(Originalartikel erschienen:
Computergenealogie 02/2011, http://wiki-de.genealogy.net/Computergenealogie/Aktuelles_Heft)